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«Wahre» Zeit = Winterzeit?
Am Sonntag, dem 27. Oktober, werden die Uhren wieder auf Winterzeit umgestellt. Für Astronom*innen beginnt die ideale Zeit zur Himmelsbeobachtung. Aber welche Uhrzeit ist tatsächlich genauer? Die Sommerzeit, oder die Winterzeit, oder keine von beiden?
Diesen Sonntag, den 27. Oktober 2024, ist es wieder einmal so weit. Die Uhren werden von der Sommerzeit auf die Winterzeit umgestellt. Alle (Hobby-)Astronom*innen freut das sehr. Endlich wird es wieder gegen 17:00 Uhr dunkel und man kann schon auf dem Heimweg von Schule, Uni oder Job die ersten Planeten und anderen Objekte beobachten.
Wer sich gerne mit Himmelsmechanik und dem «Uhrwerk Sonnensystem» befasst, schätzt vermutlich die Winterzeit ebenfalls stärker als die Sommerzeit, denn diese liegt näher an der sogenannten «Lokalzeit». Die Lokalzeit unterscheidet sich von Standort zu Standort und wird anhand des scheinbaren Wegs unserer Sonne über den Himmel bestimmt.
Den höchsten Punkt ihres Weges, wenn wir und die Objekte um uns herum den kürzesten Schatten des Tages werfen, bezeichnet man als «wahren Mittag». Man könnte diesen auch als «astronomischen Mittag» bezeichnen.
Das klingt, für uns heute, einigermassen komplex. Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es aber auch in der Schweiz noch eine Selbstverständlichkeit, die Zeit auf diese Weise zu bestimmen.
Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Menschen damals die Zeit direkt anhand der Sonne bestimmten, zumal man von blossem Auge niemals (!!!) in die Sonne schauen sollte.
Es genügt aber, einen Stock o.ä. senkrecht in den Boden zu stecken und zu beobachten, wann er den kürzesten Schatten wirft, um herauszufinden, wann Mittag ist. Je mehr Tage man hintereinander beobachtet, desto genauer kennt man den zu erwartenden «Kürzest-Wert» für den Schatten und desto genauer wird auch die Mittagsbestimmung.
1853 aber änderten sich die Zeiten - nicht nur sprichwörtlich.
Erste Teilstrecken des Telegrafennetzes waren bereits in Betrieb genommen worden. Daher wurde es nötig, eine einheitliche Zeit für die gesamte Schweiz zu definieren. Ansonsten wäre es sehr leicht zu Verwirrungen bezüglich des genauen Versandzeitpunkts einer Nachricht gekommen.
Der Bundesrat Josef Munzinger verfügte, dass schweizweit die mittlere Lokalzeit von Bern für den Post- und Telegrafieverkehr gelten sollte.
Denn immerhin gibt es eine zeitliche Differenz von 18 Minuten zwischen dem östlichsten und dem westlichsten Punkt der Schweiz. Mit anderen Worten: Die Sonne geht im Val Müstair 18 Minuten früher auf als im Kanton Genf.
Zumindest die Berner*innen lebten damit weiterhin nach ihrer gewohnten Zeit. 1894 wiederum führte der Gesamt-Bundesrat die mitteleuropäische Zeit (MEZ) ein, allerdings nur für die unter Bundesaufsicht stehenden Verkehrsbetriebe sowie für den Post- und Telegrafieverkehr. Weiter reichten die Befugnisse nicht.
Viele Kantone entschieden im gleichen Jahr sodann selbstständig, die MEZ zu übernehmen. Erst 1981 wurde die MEZ dann aber auch (schweizweit) gesetzlich verankert.
Zu diesem Zeitpunkt war sie aber genau genommen bereits wieder überholt, da man sich 1972 bereits global auf die Koordinierte Weltzeit (engl. «Universal Time Coordinated»), kurz UTC, geeignet hatte. Die UTC wird mit Hilfe von Atomuhren hochpräzise gehalten und kann daher auch für astronomische Berechnungen genutzt werden, die einer geringeren Präzision bedürfen.
Daher ist es heute auch die UTC, und nicht wie fälschlicherweise im Teaser angegeben die MEZ, nach welcher auf der Internationalen Raumstation (ISS) gelebt und gearbeitet wird. Die UTC entspricht MEZ -1h (Winterzeit) bzw. MEZ -2h (Sommerzeit).
Mit der entgültigen Einführung der Sommerzeit 1981 entfernte man sich damit im Sommer-Halbjahr so weit von der Lokalzeit, wie noch nie. Eine Abkehr vom Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit, wie ihn die EU plant, würde daher eine Wieder-Annäherung an die astronomisch korrekte Lokalzeit darstellen. Es ist daher auch kaum verwunderlich, dass die Länder, welche ihre Zeit jährlich überhaupt zweimal umstellen global gesehen in der Minderheit sind.
Ähnlich wie bei den verschiedenen Wochentag-Systemen (siehe unseren Blog-Post dazu) scheint man sich relativ schnell an neue Zeitsysteme zu gewöhnen, oder diese schlicht so für sich anzupassen, dass man zumindest damit leben kann.
Vermutlich hätte man daher auf dem Mars auch sehr schnell wieder das Gefühl, dass die Tage nicht lang genug seien. Hier dauert ein klassischer Tag (ein klassischer Erdentag entspricht z.B. genau 24h) 24 Stunden, 39 Minuten und 35 Sekunden. Man hat also gut 40 Minuten mehr zur Verfügung, und das jeden Tag!
All jenen, denen das noch immer zu kurz ist, empfehlen wir auf einen Planeten umzusiedeln, der wie unser Mond eine gebundene Rotation hat; z.B. Trappist-1 e. Dieser Planet liegt innerhalb der habitablen Zone seines Sterns, wo die Bedingungen für dauerhaft flüssiges Wasser, der ersten Grundzutat für Leben wie wir es kennen, gegeben sind.
Da er eine gebundene Rotation hat, sich also gleich schnell um die eigene Achse, wie um den Stern bewegt, befindet sich eine Seite ständig im Licht, während die andere in ewige Dunkelheit getaucht wird.
Für einen erholsamen Nachtschlaf müsste man dort also jeweils die Tag-Nacht Grenze auf die dunkle, vom Stern abgewandte Seite passieren. Dafür könnte man sich dort dann auch so lange ausschlafen, wie man möchte, ohne jemals von der Sonne geweckt zu werden.
Wo würdest du am liebsten wohnen? Auf unserer schönen Erde, dem Mars, oder auf Trappist-1 e? Schreib es in die Kommentare auf unseren Social Media Kanälen!
Bilder
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Zeitstrahl Entwicklung der Zeitsysteme. (Eigenproduktion)
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Karton-Sonnenuhr. (Eigenproduktion)
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M.E. Fischer, "Bundesrat Josef Munzingers Oltner Jahre," Oltner Neujahrsblätter, 2005, pp. 13-15.
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NASA/JPL-Caltech, "Mars Perseverance Sol 1307: Left Navigation Camera (Navcam)," 23.10.2024. (mars.nasa.gov/mars2020/multimedia/raw-images/NLF_1307_0782970417_271ECM_N0611578NCAM13307_01_195J)
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NASA, "EYES ON EXOPLANETS - TRAPPIST-1e," 2024. (science.nasa.gov/exoplanet-catalog/trappist-1-e)
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Illustration gebundene Rotation. (Eigenproduktion)
Quellen
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A. Buckle und V. Hocken, "UTC: The World's Time Standard," timeanddate, 1995-2024. (timeanddate.com/time/aboututc.html)
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A. Frank, "Why TRAPPIST-1 Is Our Favorite Alien Planetary System," JSTOR Daily, 04.01.2024. (daily.jstor.org/why-trappist-1-is-our-favorite-alien-planetary-system)
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A. Gerst, Interviewee, Nach welcher Uhrzeit lebt man auf der ISS?, 11.04.2019.
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B. Konstantin, "Sonnenzeit: Was ist Universal Time?," timeanddate, 1995-2024. (timeanddate.de/astronomie/universal-time)
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D. McCarthy, "Practical impact on astronomy - The future of Coordinated Universal Time," ITU News Magazine, 04.07.2023.
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J. Messerli, "Zeitsysteme," Historisches Lexikon der Schweiz, 25.01.2015. (hls-dhs.dss.ch/de/articles/012813/2015-01-25)
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M. Tribelhorn, "Der Anbruch einer neuen Zeit - wie die Schweiz vor 125 Jahren ihre Uhren mit der Welt synchronisiert," NZZ, 27.05.2019.
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P. Gollmer, "Warum die Zeitumstellung noch nicht abgeschafft wurde," NZZ, 30.03.2024.
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Royal Museums Greenwich, "How long is a day on Mars? - Find out how we measure time on the Red Planet," 2024. (rmg.co.uk/stories/topics/how-long-day-on-mars)